17.01.2017
Allianzgebetswoche: Erfahrungen aus Peine und Gießen
Wie zwei junge idea-Mitarbeiter die Allianzgebetswoche erlebten
(idea) Ein Kennzeichen der Gebetswoche der Evangelischen Allianz ist, dass Christen aus Gemeinden unterschiedlicher Kirchen gemeinsam beten. idea hat zwei seiner jüngsten Redaktionsmitarbeiter zu Gebetsabenden geschickt, damit sie ihre Eindrücke schildern: Julia Bernhard (29) war in Gießen (Mittelhessen) unterwegs und Steffen Ryll (25) besuchte seine Heimatstadt Peine. Die 50.000-Einwohnerstadt zwischen Hannover und Braunschweig gilt nicht gerade als fromm.
Noch kein Beter vor dem Herrn
Als ich vor drei Jahren zum ersten Mal am Ende einer Konferenz an einem freien Gebet teilnahm, fiel ich gleich unangenehm auf. Landeskirchlich sozialisiert ist man in der Regel die rituellen Gebete gewohnt. Dass mehrere Menschen nacheinander ihren persönlichen Gedanken freien Lauf lassen, kannte ich nicht. Nachdem also der erste Beter sein Innerstes nach außen gekehrt hatte, beschloss ich, dass die Veranstaltung zu Ende sei und packte meine Unterlagen zusammen. Kein anderer regte sich. Peinlich berührt faltete ich meine Hände erneut und wartete, bis alle anderen auch etwas gesagt hatten. Mir selber fiel es wahnsinnig schwer, ebenfalls einige passende Worte zu finden. Ich empfand das irgendwie als zu intim. Seitdem weiß ich immerhin, was es bedeutet, in Gemeinschaft zu beten. Und dass es nichts für mich ist. Ich bin einfach kein Beter in Gemeinschaft vor dem Herrn.
Bei 90 Leuten kann man einfach untergehen
Als ich mich am Sonntagabend zum ersten Mal in meinem Leben zur Allianzgebetswoche aufmache, habe ich also die leise Befürchtung, dass diese Veranstaltung für mich ziemlich anstrengend werden könnte. Die Universitätsstadt Gießen gehört mit knapp 84.000 Einwohnern zu den zehn größten Städten in Hessen. Das kirchliche Angebot ist bunt und jung. Auch bei der Allianzgebetswoche sind die unterschiedlichsten Gemeinden mit an Bord. Ich beginne mit etwas Vertrautem: In der Johanneskirche, meiner Heimatgemeinde, haben sich rund 90 Christen zu einem Gebetsgottesdienst eingefunden. Im Publikum überwiegen die weißen Haare deutlich. Nur die iranischen Familien senken den Altersdurchschnitt etwas. Beim offenen Gebet sind es ausschließlich die älteren Menschen, die das Wort ergreifen und für Politiker, verfolgte Christen und Mission beten. Ich höre lieber zu. Aber das stört keinen. Die Gruppe ist groß genug. Ich kann einfach untergehen und meine eigenen Gedanken im Stillen formulieren.
Beim Frauengebet kann ich etwas lernen
Wenige Tage später laufe ich zum Frauengebet in der Stadtmission Gießen. Es ist 15 Uhr. Um diese Uhrzeit können doch nur Renterinnen, denke ich. Meine Befürchtungen werden bestätigt. Sechs ältere Damen haben sich zusammengefunden. Doch so fröhlich und warmherzig wie hier bin ich noch bei keinem Termin empfangen worden. Beim Gebet merke ich: Hier sitzen Menschen, die viel erlebt haben – nicht nur Gutes. Und sie finden trotzdem Gründe, zu danken für die gemeinsamen Jahre mit dem verstorbenen Ehemann, für die Enkelkinder, obwohl sie noch keinen Zugang zum Glauben gefunden haben. Hier kann man einiges lernen. Die Gebete sind lebensnah, nicht himmelhoch jauchzend und ekstatisch, wie ich es von Freikirchlern meiner Generation hin und wieder mitbekommen habe.
Jugendgebetsabend: Wann beten wir endlich?
Am letzten Abend gebe ich trotzdem eben jener Spezies eine Chance. Knapp 100 junge Leute sind zum Jugendgebetsabend in der Freien evangelischen Gemeinde gekommen. Das Licht ist gedimmt, die Stühle sind bequem, eine Band spielt. Die erste Lobpreisrunde dauert eine gefühlte Ewigkeit. Wann beten wir endlich? Danach beginnt ein Spiel, bei dem es um Martin Luthers vier „Sola“ (Allein der Glaube usw.) geht. Lustig ist es. Ich warte immer noch aufs Beten. Immerhin ist es aber überraschend, dass ausgerechnet die Jugend auf ihrer Veranstaltung am längsten durchhält. Während die anderen nach spätestens einer Stunde fertig sind, ist man hier fast doppelt so lange beschäftigt. Endlich kommt es zum Gebet. So sehnsüchtig habe ich in dieser Woche immerhin noch nie darauf hingefiebert. Ein Beter vor dem Herrn bin ich in den letzten sieben Tagen zwar nicht geworden, aber ich habe viel gelernt und das Gespräch mit Gott in all seinen Facetten wahrgenommen.
Julia Bernhard
Mein erster Gebetsabend – und das in Peine
Schon der Teppichboden sorgt für eine gewisse Ruhe im Versammlungsraum der Gemeinde „Mittendrin. Gott. Erleben.“ in Peine, die Mitglied im Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden ist. „Ruhe“ – ein Thema, das mir heute Abend noch öfter begegnen wird. Obwohl das offizielle Motto lautet: Gnade allein. Vorne bezieht das „Lobpreisteam“ Stellung – außer mir fast die einzigen unter 30-Jährigen der 33 Teilnehmer. Und doch singen wir einen Klassiker: „Großer Gott, wir loben dich“. In das jahrhundertealte Lied stimmen viele mit ein. Das zweite Lied – „In aller Welt“ –, also ein zeitgenössisches, kennen wenige. Danach gibt es den ersten Gebetsblock: „Gott danken.“ Aus allen Ecken des Raumes ertönen nacheinander kurze konkrete Dankesgebete. Mir wird bewusst, dass jeder Gründe zum Danken hat, auch ich: Familie, Freunde, Gesundheit.
Sind Christen unruhig?
Wie es sich für eine moderne Freikirche zu gehören scheint, wird das Beten mit einem Klangteppich des E-Klaviers unterlegt – naja, wer’s mag. Nach weiterem Gesang hält ein Gastprediger aus der baptistischen Christuskirche in Peine eine kurze Predigt über Matthäus 11,25-30. Es geht um Zuflucht, Gnade, Vertrauen … Und Ruhe, die es nur im Frieden mit Gott gibt. Ich merke: Heute Abend ist sie da, weil er da ist. Dabei erinnern wir uns an das vergangene Jahr, in dem die Ruhe angesichts von Krieg und Terror scheinbar fehlte. Deshalb folgt im zweiten Gebetsteil die Fürbitte für andere. Oft werden Flüchtlinge genannt. Aber auch für verfolgte Glaubensgeschwister und Frieden beten wir. Und Regierungen, besonders die der USA. Nach erneutem Singen bilden wir Kleingruppen, um auf diese Weise zu beten. Ein Mann kommt auf mich zu und spricht mich freundlich an. Schon tauschen wir in einer Gruppe aus vier Leuten Gebetsanliegen aus. Auch hier geht es um Ruhe. Haben die Peiner etwa mehr Stress als andere? Oder sind gar wir Christen alle etwas unruhig?
Wie man Ruhe findet
Wir bekennen im Gebet: Mögen wir im Alltag auch viele Sorgen haben, die uns beunruhigen. Einen festen Ruhepol haben wir in Jesus Christus. So singen wir im letzten Lied: „Es ist vollbracht, der Weg ist jetzt frei in deine Gegenwart.“ Am Ende also ein schöner, ruhiger Abend.
Steffen Ryll