16.01.2017

Allianzgebetswoche: Wenn 24 Stunden gebetet wird

Aus freikirchlichen Gemeinden in Hamburg

Die Ideen, wie man Gott in der traditionellen Gebetswoche der Evangelischen Allianz zu Jahresbeginn anrufen kann, nehmen kein Ende. So entschlossen sich in Hamburg drei evangelikale freikirchliche Gemeinden erneut, ein Gebetstreffen rund um die Uhr – also 24 Stunden lang – anzubieten. idea-Redakteur Simon Laufer ist an einem Tag in der Christengemeinde Arche Alstertal dabei.

Hilda Sinani findet in dieser Woche wenig Schlaf. Wenn sie morgens um 8 Uhr ihren Schönheitssalon in Hamburg-Wandsbek aufschließt, hat sie nur wenige Stunden zu Hause verbracht. Bis 4 Uhr war sie in der Christengemeinde Arche Alstertal, einer evangelikal-charismatischen Freikirche. Die Iranerin hat in diesen Tagen Besseres zu tun, als zu schlafen – sie betet. Rund um die Uhr brennt während der Allianzgebetswoche Licht im Souterrain des Gemeindehauses, in dem Christen von Montag bis Freitag ununterbrochen den Kontakt zu Gott suchen. Solche Aktionen fanden in den vergangenen Jahren im Rahmen der Allianzgebetswoche immer wieder in Landes- und Freikirchen statt. Das Ziel ist, dass zu jeder Zeit mindestens eine Person betet. In der Arche Alstertal beteiligen sich in diesem Jahr etwa 100 Christen aus verschiedenen Gemeinden, aber ohne Hilda Sinani und eine Gruppe iranischer Flüchtlinge würde das Dauergebet zumindest in den Nächten kaum möglich sein.

Um 4 Uhr morgens ist es still

4 Uhr morgens, Hamburg schläft. Nur wenige Autos fahren auf den Straßen des Stadtteils Alstertal im Nordosten der Hansestadt. Aus der Dunkelheit der Nacht tritt Jürgen Peter in den sanft ausgeleuchteten Gebetsraum der Arche. Im Vorbeigehen grüßt er leise die iranischen Beter, die im Aufbruch sind. Der frühe Morgen verträgt keine lauten Gespräche. Peter liebt diese Ruhe vor der Tagesdämmerung, er hat sich für drei Frühschichten eingetragen. Die ganze Woche ist in Gebetsschichten zu je einer Stunde eingeteilt. Wer sich vorab auf der Internetseite der Gemeinde für eine Stunde einträgt, sollte zu dieser Zeit auf jeden Fall präsent sein. „Eine Stunde war mir zu kurz, deshalb habe ich mich für zwei gemeldet“, sagt Peter. Für alle anderen steht die Tür auch stets offen – das wird aber nicht immer genutzt. Für die Zeit bis 6 Uhr bleibt Peter allein – und genau das gefällt ihm. „Ich schätze es, wenn jeder für sich allein beten kann – für die ganze Welt und für persönliche Anliegen.“ Als er am Dienstag zum ersten Mal den Raum betrat, lief leise Hintergrundmusik, auch die hat er dann ausgestellt.

Neben der Arche beteiligen sich zwei weitere Gemeinden am 24-Stunden-Gebet: die Freie evangelische Gemeinde Sasel und das Trinity Celebration Center/Dreieinigkeitsgemeinde. Seit Jahren pflegen die Gemeinden engen Kontakt. Das mehrtägige Gebet findet inzwischen zum vierten Mal statt. Es stärkt die Einheit der Gemeinden, sagt der Pastor der Freien evangelischen Gemeinde, Eugen Vogel. „Sie ermöglicht intensiven Austausch, das wirkt auch das Jahr über nach“, sagt er.

Das Allerheiligste: Ein Zelt der Begegnung

In den Vormittagsstunden steht die Gemeinschaft weniger im Vordergrund. Inzwischen hat Esther Petry das Gebetszepter übernommen, auch sie ist allein. Die 57-Jährige arbeitet als Altenpflegerin meist in der Spätschicht und kann sich deshalb tagsüber die Zeit fürs Gebet nehmen. „Es ist eine Stunde, in der ich allein sein und Jesus begegnen kann. Für mich ist das eine große Bereicherung“, erzählt sie. Während der Vormittage ist sie nicht immer völlig ungestört, da der normale Gemeindebetrieb in der Arche weitergeht. Dann zieht sie sich in das „Zelt der Begegnung“ zurück, einen zehn Quadratmeter großen Raum aus weißen Planen, ausgestattet mit Decken und Kissen. Das Allerheiligste, ein Rückzugsort für die ganz persönliche Zeit mit Gott.

Die Gebetsgeschmäcker sind verschieden

Lidia Kadow sitzt lieber an einem der vielen Tische oder bewegt sich im Raum. „Mir ist das Gebetszelt zu eng“, sagt sie. Auch sie hat einige Gebetsschichten übernommen und freut sich über die Aktion. Seit Kadow 20 Jahre lang in Spanien als Missionarin gelebt hat, ist für sie das Beten sehr wichtig. „Gebet heißt, ein von Gott abhängiges Leben zu führen.“ Sie bedauert, dass für viele Christen in Deutschland das Gebet nicht diese zentrale Rolle einzunehmen scheint. „An der 24-Stunden-Aktion beteiligen sich viele, die sonst auch ein intensives Gebetsleben haben. Andere sind unsicher, wie sie die Zeit füllen sollen, und melden sich deshalb nicht“, vermutet Kadow. Tatsächlich bleiben auf dem Übersichtsplan der Gebetszeiten bis zum Schluss noch ein paar Lücken frei. Wichtig sei es, dass Menschen das Gebet in ihr Alltagsleben integrieren, sagt Kadow. „Wenn es nur bei dieser Woche bleibt, ist es zu wenig.“

Bis in den Nachmittag hinein lösen sich einzelne Beter ab, die jeweils eine Stunde übernommen haben. Das stille Gebet steht im Vordergrund, viele orientieren sich an den Anregungen der Evangelischen Allianz. Das Vorbereitungsteam hat das Thema des vierfachen „Allein“ – Christus, Bibel, Gnade und Glaube – liebevoll an vier Stationen umgesetzt. Eine Ecke lädt zum Abendmahl ein, an einem Tisch liegen Bibelausgaben und Stifte zum kreativen Gestalten von Texten aus. Das Zelt der Begegnung steht unter dem Motto „Christus allein“, eine Wand mit Bekenntnissen und Bitten auf Deutsch und Farsi ist mit „Glaube allein“ überschrieben. Viele Beter lassen sich durch den Raum treiben und machen an den verschiedenen Stationen halt.

Etwas für ihn völlig Neues: Gott als liebender Vater

Am späten Nachmittag ist Liane Jobst dran. Auch sie geht durch den Raum, eine Bibel in der Hand, die Augen geschlossen. Es sind die letzten ruhigen Minuten des Tages. Gegen 18 Uhr kommt Farzad Reza dazu – auch er hatte in der Nacht zuvor mit Hilda Sinani bis in die Morgenstunden ausgeharrt. Der 30-Jährige war vor zehn Monaten aus dem Iran gekommen und hatte sich in Deutschland taufen lassen. Gott als liebenden Vater zu erfahren, war für ihn etwas völlig Neues. Ein 24-Stunden-Gebet ohne Vorgaben kannte er nicht aus den Moscheen seines Heimatlandes.

Schließlich taucht auch Hilda Sinani wieder auf. Sie ist seit 1994 in Deutschland und kümmert sich intensiv um eine Gruppe Iraner in der Gemeinde. Sie sieht etwas müde aus, aber aus ihren dunklen Augen strahlen Entschlossenheit und Kraft. „Als ich nach Deutschland kam, war ich zunächst schockiert, wie wenig gebetet wird.“ In ihrer Gemeinde im Iran drohte ständig Verfolgung, sie hätten damals viel intensiver gebetet. „Ich glaube, dass Gott die Deutschen von ihrer Vergangenheit befreien und ihnen ihre Scham nehmen will“, sagt sie. Die Mentalität der Iraner sei da hilfreich. „Für Deutsche ist schon ein Flüstern oft zu viel, aber wir beten laut, singen und tanzen – damit stecken wir auch andere an“, sagt sie und lacht.

Gegen Mitternacht erwachen die Iraner zu neuem Leben

Am Abend füllt sich der ganze Gebetsraum, alle Tische sind besetzt. Pastorin Carita Fahlbusch vom Trinity Celebration Center hält eine Andacht über Gottes einladende Liebe, ihr Kollege Eugen Vogel von der Freien evangelischen Gemeinde leitet anschließend mehrere Gebetsrunden an. Konzentriertes Gemurmel, Hände auf den Schultern, eindringliches Beten für Nachbarn, Freunde, für die Welt. Bitten für Hamburg steigen auf zu Gott, Flehen um Vergebung, Dank für Gelungenes und Erlebtes. Eine kleine Band umrahmt den Abend mit Liedern, ein herzliches Miteinander füllt den Raum. Nur eines fällt auf: Jugendliche sind keine da. Pastor Vogel hat eine Erklärung: „Für Jugendliche ist es nicht mehr so reizvoll, einfach die Hände zu falten und zu beten. Sie wollen ihre eigenen Arten des Gebets entdecken.“ Das geschieht am folgenden Tag: Beim Jugendabend steht das musikalische Gebet im Vordergrund. Das spricht die Jugendlichen deutlich mehr an, sagt Vogel.

Gegen 22 Uhr wird es ganz schnell ruhig. Farzad und seine Freunde haben sich an einen Tisch zurückgezogen und büffeln Deutsch-Vokabeln. Zur Abendschicht kommen Iris und Gunnar Wiegel, die neu in der Gemeinde sind. Sie ziehen sich zu zweit in das Zelt der Begegnung zurück, musizieren und halten Fürbitte. Ihr Fazit nach einer Stunde: „Unglaublich, wie schnell die Zeit vergangen ist.“ Gegen Mitternacht erwacht die Gruppe der Iraner zu neuem Leben. Sie stehen im Raum verteilt, die Augen geschlossen, und singen lautstark zu Playback Lobpreislieder auf Farsi. Immer wieder inbrünstige Gebete, für Deutschland, Iran und die Welt. Und dann, nach einigen Stunden, Stille. Jeder betet leise für sich. Die Nacht legt sich über Hamburg. Nur im Gebetsraum der Arche brennt immer noch ein Licht.